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Sanfte Agrarwende, aber wie?

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Wirtschaftsbeirat der Union holte sich einen grünen Politiker aus Niedersachsen

Vorsitzender Fritz Gempel (2. von rechts) hatte für den Wirtschaftsbeirat der Union eingeladen. Fotos: diba

Das Referat von Christian Meyer, Abgeordneter der Grünen im niedersächsischen Landtag (wo er auch Minister war) konnte nicht unwidersprochen bleiben. Das deutliche Kontra kam vom Kreis-obmann des Bayerischen Bauernverbandes, Ernst Kettemann, der realitätsbezogen die Ausgangslage der Bauern in der Region und bei 1200 Mitgliedsbetrieben im Landkreis skizzierte sowie dazu aufforderte von allen Seiten „viel nachzudenken”, um gemeinsam Lösungen für das Ziel zu finden.

Fritz Gempel betonte in seiner Begrüßung vor rund fünfzig Zuhörern wie dringend eine Wende in der Agrarpolitik notwendig sei. Der „sanfte Weg” beinhalte mehr Sicherheit, mehr Regionalität und mehr Tierschutz, was zu einer besseren Zukunft für die Bauern führen solle. Diese freilich müssten ihre Erzeugnisse teurer an den Verbraucher bringen. „Hauptsache billig” wie es das Motto von Großanbietern ist dürfe nicht Maxime sein. Eigentlich, so Gempel, müsse man sich nur an die Bayerische Verfassung mit ihrem Art. 151 halten: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten”. Fritz Gempel: „Für mich ist das System Discounter eine gemeinwohlschädigende Betriebsform”. Während Discounter mit 2,8 Prozent Personalkosten auskämen, müsse eine handwerkliche Metzgerei mit 35 Prozent kalkulieren. Agrarwende funktioniere natürlich nur mit den Bauern und wenn sie wirtschaftlich in der Lage sind. Zögern sei angesichts manch falscher gepredigter Richtung auch verständlich.

Bürgermeister Dieter Kölle verwies in der Reichsstadthalle auf die wachsende Bedeutung regionaler Produkte wie sich dies auf dem örtlichen Markt zeige, aber auch die Gastronomie habe Initiativen mit Regionalerzeugnissen entwickelt. Referent Christian Meyer erzählte anhand zahlreicher Beispiele aus seiner Arbeit in Niedersachsen, wo er 2013 bis 2017 Landwirtschaftsminister war und sich zugute hält die Agrarwende und mehr Tierschutz vorangebracht zu haben. Das war wohl auch parteiübergreifend anerkannt. Das Betriebesterben sei in der Landwirtschaft dramatisch. Bei den Milchviehhaltern erziele man weniger Einnahmen bei gestiegenen Kosten. In Bayern hätten in einem Jahr zirka zweitausend Milchviehbetriebe aufgegeben. Die Supermarktketten verdrängten die Handwerksbetriebe. Auch Großschlachthöfe bestimmten das Bild. Konzerne setzten nur noch auf „billig-billig” und so gehe es nicht weiter, denn in der Folge werde auch die Hälfte der Lebensmittel in Deutschland weggeworfen. Deshalb sei es notwendig, dass Lebensmittel teurer werden. Nur so kann der Erzeuger seinen gerechteren Anteil bekommen. Meyer fordert stimmige Lebensmittelkennzeichnungen, denn häufig fühle sich der Verbraucher getäuscht. In der Werbung suggeriere man die heile Welt und das Erwachen sei dann groß, wenn man Fernsehfilme sieht, die von zweitausend im Stall zusammengepferchten Schweinen berichten.

Kritisches Nachfragen: Ernst Kettemann.

Bedenkliche Praktiken

Bedenkliche Riesen-Legebatterien gegenüber Freiland-Hühnerhaltung und Bio-Kennzeichnungen wurden angeschnitten. Dass Bauern den Zuchtferkeln die Ringelschwänze teilweise mit Heißschneidern kupieren verstößt gegen Tierschutz- und EU-Richtlinien. Der grüne Politiker wendet sich dagegen ebenso wie gegen das Schnabelabschneiden bei Hühnern und hat als Minister auch hier Erfolge erzielt. Gemeinsam mit Bauernverband und Handel habe man ein Weideprogramm in Niedersachsen als Modell erarbeitet, das auch zur Verpackungskennzeichnung für den Verbraucher führte.

Die Quintessenz des Abgeordneten aus Niedersachsen: „Es ist Zeit für einen bundesweiten Agrarkonsens”. Nach dem Energiekonsens und angesichts des „gigantischen Artensterbens in Deutschland” sei der Gemeinwohlgedanke der Bayerischen Verfassung sehr sinnvoll. Tierwohl und Umweltschutz gehörten zusammen, am Ende gehe es mit den Bauern und allen Beteiligten nur auf faire Art. Ein Halten der noch vorhandenen bäuerlichen Betriebe angesichts der „Mega-Strukturen” wäre auch in Europa ein großer Erfolg.

Kreisrat Ernst Kettemann vom Bayernverband legte in seiner Erläuterung aus Sicht der landwirtschaftlichen Betriebe den Finger in die Wunden. Die Politik nehme sich immer das vor, was ihr gerade ins Konzept passe und lasse anderes liegen. Viele Betriebe hätten keine Tierhaltung mehr und sechzig Prozent würden im Nebenerwerb laufen. Ein Problem sei die Düngeverordnung, wenn das kurze zugelassene Zeitfenster zum Gülle-Aufbringen nicht genutzt werden könne und der Bauer dann Dünger zur Freude des Landhandels kaufen müsse.

Kritisch sieht Kettemann die Zunahme von Wasserschutzgebieten, die Leute würden ihr Mineralwasser im Supermarkt kaufen und kaum aus der Leitung trinken. Und allgemein seien Preisfestsetzungen wie bei der Milch ungerecht, weil jeder Betrieb anders gelagert ist. Er selbst habe viele Leute ausgebildet, aber könne das heute nicht mehr ohne Weiteres verantworten, „wenn man junge Leute nicht betrügen will”.

Die Grünen sollten überlegen, ob die Flächenverbrauchs-Begrenzung sinnvoll sei und nicht eher den Ballungszentren nutze. Es dürften ökologische Ausgleichsflächen nicht einfach so angeordnet werden. Gemeinsames kritisches Nachdenken sei nötig. Der Brexit bringe Belastungen, das Problem der Boden- und Gewässerbelastung sei offensichtlich, meinte der stellvertretende Vorsitzende Ulrich Grüber und schlussfolgerte: „Wir können uns weder erlauben, dass die Landwirte sterben, noch dass die Natur stirbt”. Die Verbände seien als ehrliche Makler gefordert, der Verbraucher ebenso. In der Gewissheit, dass gute Ansätze noch nicht aus­reichen, ging man auseinander. diba


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