Quantcast
Channel: Aus der Stadt – Fränkischer Anzeiger
Viewing all articles
Browse latest Browse all 1548

Gedenkstätte im Schatten

$
0
0

Pfarrer Gußmann vermittelte Wissenswertes zum jüdischen Friedhof

ROTHENBURG – Er ist vielen jüngeren Rothenburgern wohl kaum im Bewußtsein und führt eher ein Schattendasein: der jüdische Friedhof an der Wiesenstraße mit seinen über vierzig Grabsteinen. Jetzt wurde er im Rahmen der jüdischen Woche durch eine Führung von Pfarrer Dr. Oliver Gußmann einmal in den Blickpunkt gerückt.

Erfreuliches Interesse von Rothenburgern und Auswärtigen bei der Führung durch den Friedhof. Fotos: diba

Erfreuliches Interesse von Rothenburgern und Auswärtigen bei der Führung durch den Friedhof. Fotos: diba

Geläufiger ist dagegen in der Bevölkerung immer noch der alte Judenkirchhof wie der heutige Schrannenplatz bis 1958 sinnvollerweise hieß, denn dort befand sich ein größerer jüdischer Friedhof innerhalb der Stadtmauer. An den Bau einer Tiefgarage, wie er in den Siebzigern einmal im Gespräch war, wagte man sich auch deshalb nicht heran, weil die Befürchtung bestand auf zahlreiche Gräber zu stoßen und die Totenruhe zu stören.

Von 1339 bis 1520 ist der Friedhof belegt, wobei 45 Grabstein-Fragmente erhalten sind. Mit der Hetze des Theologen Johann Teuschlein wurden 1520 die Juden aus der Stadt vertrieben. Den 1532 erweiterten Friedhof nutzte man dann für die christliche Gemeinde und schändete dabei die jüdischen Gräber. Aus jüngerer Zeit stammt dagegen der jüdische Friedhof wie man ihn heute noch (wenn auch nicht im alten Zustand) an der Ecke Würzburger Straße/Wiesenstraße vorfindet.

Kultusgemeinde von 1875

Im Jahr 1875 war die letzte jüdische Kultusgemeinde in Rothenburg begründet worden, noch 1925 konnte sie in der Stadt ihr 50-jähriges Bestehen unbehelligt feiern. Mit dem Dritten Reich und der Verfolgung durch die nationalsozialistischen Schergen wiederholte sich die mittelalterliche Geschichte mit der Schändung und Zerstörung. Ein Kreis von immerhin fast dreißig Interessierten hatte sich letzten Donnerstag-Nachmittag am hinter Mauern verborgenen Friedhof eingefunden. Pfarrer Gußmann wies auf die 171 jüdischen Friedhöfe in Bayern hin und machte deutlich, dass auch das nebenstehende Backsteinhaus eigentlich dazugehört, denn es war das 1898 errichtete Leichenwaschhaus (Tahara-Haus genannt). Das Reinigungsritual (wozu es auch die Mikwe gibt) mit Wasser hat ebenso bei der Totenbestattung seine Bedeutung im jüdischen Glauben.

Pfarrer Dr. Oliver Gußmann erläutert die Geschichte.

Pfarrer Dr. Oliver Gußmann erläutert die Geschichte.

Etliche der Gemeindeglieder sind aus Niederstetten nach Rothenburg gezogen und manche Namen sind bis heute im Gedächtnis. Vor allem der Viehhändler Mann, aber auch die Löwenthals, die Namen Wurzinger, Westheimer und Wimpfheimer sowie Heumann sind ein Begriff, um nur einige zu nennen (die komplette Namensliste veröffentlichen wir in einem zweiten Beitrag).

Als erster Religionslehrer wurde 1875 Moses Hofmann angestellt. Dessen Frau Caroline (Lina) wurde wie Pfarrer Gußmann an ihrem Grabstein erläuterte, 1899 als erste im neuen Friedhof bestattet. Damals lag das Gelände noch weit außerhalb der Stadt inmitten von Wiesen- und Ackerflächen. Vorher mußte man den Friedhof in Ermetzhofen (1564 angelegt, schon 1926 geschändet) benutzen, was für die jüdischen Bürger einen fast vierstündigen Fußmarsch bedeutete. Pfarrer Gußmann hob hervor, dass die Juden ihre Gräber auf Lebenszeit anlegen, bekannt sei der Prager Friedhof, der aus mehreren Grabschichten übereinander bestehe.

Von der Familie des Viehhändlers Mann in der Adam-Hörber-Straße ist überliefert, dass sie bereits im März 1933 von gewalttägigen SA-Leuten heimgesucht wurde. Man hat sie drangsaliert, beschimpft, geohrfeigt und unter Druck gesetzt, weil ein örtlicher christlicher Viehhändler sich das Konkurrenzgeschäft einverleiben wollte. Dies war ein Vorläufer dessen, was später folgen sollte. Am Tag des Friedhofbesuches, dem 22. Oktober im Jahr 1938 wurden die letzten jüdischen Bürger aus der Stadt vertrieben und Rothenburg für „judenfrei” erklärt.

Geschändet

Seit 1938 ist der Friedhof verwaist, zwischen 1942 und 1943 wurde er geschändet, im Mai 1943 kaufte die Stadt das Gelände von der jüdischen Gemeinde für 310 Reichsmark. Die Rothenburger Steinmetzfirma Herrscher konnte die Grabsteine entfernen und weiterverarbeiten, die Inschriften wurden zerstört. Manche der Originalsteine, so Gußmanns Vermutung, dürften heute noch auf dem christlichen Friedhof stehen. Nach dem Krieg beschlagnahmte die US-Militärregierung das Gelände und überließ es der jüdischen Nachfolger-Organisation, wobei man die Wiederherstellung des Friedhofs forderte. Die damals aufgestellten neuen Grabsteine wie sie bis heute existieren wurden ebenfalls durch die heimische Firma Herrscher aufgestellt.

Das ehemalige Tahara-Haus diente zunächst Wohnzwecken, dann bis in die siebziger Jahre als Obdachlosen-Unterkunft für Landstreicher. Was die Grabsteine anbelangt, so zweifelt Dr. Gußmann, ob diese heute tatsächlich in der korrekten Grab-Ordnung stehen. Von den Original-Steinen mit hebräischer Inschrift existieren leider auch keine Bilder.

Pfarrer Gußmann ging näher auf einzelne Familien anhand von drei Grabsteinen ein: Caroline Hofman, Karl Wimpfheimer (der auch Vorsitzender der Gemeinde war) und die Familie Mann, deren Nachkommen einen Gedenkstein beschriftet haben. Etliche ehemalige Mitbürger wurden von den Nazis im KZ umgebracht, es gibt heute kaum noch Nachfahren in Rothenburg aus jüdischen Familien. (Beitrag wird fortgesetzt). diba


Viewing all articles
Browse latest Browse all 1548

Trending Articles