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Ein Juwel für die große Bühne

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Echtes Studententheater im Wildbad mit Franz Bühlers „Sein letzter Rausch“

ROTHENBURG – Es ist ein Volkstheater der Extraklasse: „Sein letzter Rausch“, eine treffliche Posse mit Gesang, komponiert vom Mozart-Zeitgenossen und Benediktinermönch Franz Bühler (1760 bis 1823), und mit größtmöglicher Authentizität im Theatersaal des Rothenburger Wildbades aufgeführt.

Der Aufführung vorausgegangen war der Fund eines umfangreichen kirchenmusikalischen Notenbestandes von Franz Bühler in der katholischen Kirche in Schillingsfürst. Das Ensemble, das sich an Bühlers Bühnenwerk wagte, besteht aus Studierenden der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, die alle ein Lehramtsstudium absolvieren. Sie musizieren und singen ohne technische Unterstützung, ganz wie zu Bühlers Zeiten.

„Gänsehüten will ich nicht“: Oculi (Mitte) bekommt zum Glück Unterstützung vom echten Baron.    Fotos: Schwandt

„Gänsehüten will ich nicht“: Oculi (Mitte) bekommt zum Glück Unterstützung vom echten Baron. Fotos: Schwandt

1804 zur Fastnacht wurde „Sein letzter Rausch“ nachweislich mit Studenten der Klosterschule Ursberg auf die Bühne gebracht – mit riesigem Erfolg, wie das Klostertagebuch berichtet. „Man muss staunen, wozu die jungen Klosterschüler um 1800 in der Lage waren“, so Professor Hermann Ullrich, dem es gelungen ist, seine Studierenden für Franz Bühler und „den Rausch“ zu begeistern. Die Notenseiten und der dazu gehörige Text sind authentisch und wurden im Kloster Ursberg aufgefunden. Es begann eine mühsame Suche nach dem Handlungsgerüst. In seinem Werk „Der Trunkenbold“ hat August von Kotzebue exakt die Handlung verarbeitet. Doch dann die eigentliche Sensation: Beda Mayr, ebenfalls Benediktinermönch, hat wohl den Text verfasst, einige Jahre vor Kotzebue. Er lebte – wie sein musikalischer Mitbruder Franz Bühler in dem kunst-, theater- und musikbegeisterten Benediktinerkloster „Heilig Kreuz“ in Donauwörth.

Der leidenschaftlichen Umsetzung des Stoffes im Wildbad zollt das Publikum immer wieder spontanen Szenenapplaus, denn die jungen Akteure erfüllten ihre Rollen mit herzerfrischender Natürlichkeit. Die beiden Protagonisten Urschel (Hanna Peth) und Rochus (Jens Schauz) leben im Vorderen Ries und „schwätzat schwäbisch“, sie ist als Kratzbürste bekannt, die mit ihrer Karbatsch (Peitsche) ihren Ehemann Rochus züchtigt, wenn er mal wieder über den Durst trinkt.

Oculi, der 10-jährige Sohn der beiden, leidet unter der Situation: „Mit dem Vater darf ich nicht, noch der Mutter vors Gesicht oder es gibt Schläge.“ Es ist ein zauberhaftes Quartett, das Oculi (Franzi Mutschler), gemeinsam mit Georg (Jasmin Wieder), Michel (Kerstin Lonsinger) und Lisette (Sarah Frey) singt – korrespondierend dazu ertönt ein Solohorn, meisterlich gespielt von Benedikt Sachsenmaier. Mit von der Partie ist der Schankwirt Martin Fass (Simon Popp), der in Rochus seine sicherste Geldquelle sieht. Eigentlich soll Rochus „a greana Soifa“ auf dem Markt kaufen, doch er betrinkt sich lieber bis zur Bewusstlosigkeit. Durch eine List landet er im Schlafgemach des Barons – liebliche Harfenmusik (Miriam Engel) ertönt. Die Diener, der Jagdjunker (Frederic Ackermann) und „ein Doctor Medicinae“ (Matthias Friedl) begutachten ihn, versichern ihm, er sei „Ihro Gnaden“.

Studententheater in prachtvoller Kulisse: Die Schauspieler auf Tuchfühlung mit Publikum.

Studententheater in prachtvoller Kulisse: Die Schauspieler auf Tuchfühlung mit Publikum.

Charmant und mit glockenheller Stimme verführt ihn das Landmädchen Lisette (Sarah Frey) zum Trinken, bewegt sich dabei in äußerst exponierten Lagen: „Ich bin ein Mädchen flink und rund, wie’s Gottes liebe Hand gemacht“. Völlig betrunken landet Rochus unter dem Tisch und schläft ein. Rochus wollte die drei Höflinge hängen – jetzt knüpfen sie ihn am Galgen auf, holen seine kratzbürstige Urschel und seinen Sohn Oculi. Entsetzt blicken beide auf zum Galgen, beklagen das vermeintliche Ableben des Ehemanns und Vaters. Rochus erwacht aus seinem Delirium, entdeckt Frau und Sohn, gelobt Besserung. Die Familie findet sich, der echte Baron (Stefan Finta) kümmert sich um Oculis Fortkommen.

Insgesamt zwanzig Musikstücke in Form von Arien, Duetten, Rundgesängen, Natur- und Instrumentalmusiken, in denen neben den Streichern virtuos geführte Querflöten, Oboen und Hörner das Kolorit bestimmen, hat Bühler in seiner Komödie eingebaut, richtige Ohrwürmer sind dabei, und die Studierenden erarbeiteten diese vortrefflich. Unterhaltsam sind die Finessen der Choreo­grafie, an historischen Vorbildern orientiert die Kostüme, die Maja Negraschis entworfen hat.

Solveig Lübbe dirigiert das junge, dynamische Orchester. Sie meistert die räumlichen Herausforderungen hervorragend – schließlich sitzen die Musiker unten links neben der Bühne und es bedarf größter Aufmerksamkeit der Akteure, Musik und Theater zu koordinieren. Schüler aus den Berufsintegrationsklassen der örtlichen Berufsschule, die in der Gipsmühle nahe dem Wildbad wohnen, unterstützten die Gmünder zuverlässig beim jeweiligen Umbau des Bühnenbildes sowie beim Auf- und Abbau in ihrer Freizeit und am Wochenende. Einer der afrikanischen Jungen war von der Musik besonders begeistert, so sehr, dass er auf Professor Hermann Ullrich zuging und ihm erklärte, dass er Musiker werden möchte. Dieser zögerte nicht lange und meinte: „Mach dazu den ersten Schritt und setz dich einfach mitten ins Orchester.“

Doch nicht nur den Akteuren gebührt der Dank, auch dem Organisationsteam im Wildbad, allen voran Pfarrer Herbert Dersch, der unkompliziert und offen auf die Vorstellungen des Ensembles einging und echtes Studententheater ermöglichte, wie es in vielen Klöstern der Barockzeit im Fasching und zum Schuljahresende praktiziert wurde. Die Studenten haben, gemeinsam mit ihrem Projektleiter Professor Hermann Ullrich, Franz Bühler für sich entdeckt, einen „kirchlichen Mozart“ des südlichen deutschen Sprachraumes, und einen Schatz aus seinem umfangreichen Werk im Wildbad einem großen Publikum vorgestellt. Und wer weiß, vielleicht entdeckt ja auch eine große Bühne dieses Juwel und bringt es zur Aufführung. Dann ist Bühler wieder – wie schon zu Lebzeiten – in aller Munde. sw


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