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Ganz schön rumgekommen

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Junge Familie reist zwei Jahre lang auf der Panamericana durch 19 Länder

REUTSACHSEN – Einmal im Leben allen ach so vermeintlich wich-tigen Verpflichtungen entfliehen und sich die Zeit nehmen, die Schönheit und Vielfalt der Welt auf eigene Faust zu entdecken. Viele Menschen hegen insgeheim diesen Traum, trauen sich aber nicht, ihn zu verwirklichen. Nicht so Familie Schmitt aus Reutsachsen. Das abenteuerlustige Trio bereiste zwei Jahre lang die berühmte Panamericana und sammelte auf diesen 100000 Kilometern durch 19 Länder einmalige Erfahrungen und Eindrücke. Das schönste „Souvenir“ ist aber zweifelsohne ihr kleiner „Mexikaner“.

Diesen einmaligen Anblick der Lagune Quilotoa (Kratersee eines Vulkans) genoss die Familie in Ecuador auf 4000 Meter. Fotos: privat

Denn Leeven Ramón Schmitt, so sein offizieller Name, wollte sich dieses ganz besondere Abenteuer auf keinen Fall entgehen lassen. Er kündigte sein Kommen an, als seine Eltern Thorben und Michaela Schmitt mit seiner großen Schwester Romy zwei Wochen nach Reisebeginn gerade am Yukon in Kanada weilten. Der Großteil ihrer Tour mit „Frosch“, ihrem knallgrünen Mercedes-Kurzhauber, lag da noch vor ihnen. „Ein Kind im Ausland zu bekommen und mit ihm zu reisen, das geht nicht“, war Michaela Schmitts erste Reaktion.

Doch sie entschieden, es zu versuchen. Zuviel hatten sie im Vorfeld für die Erfüllung dieses Traums auf sich genommen. Fünf Jahre lang arbeiteten die Steuerfachangestellte und der Programmierer praktisch rund um die Uhr, um sich das nötige finanzielle Polster zu schaffen. Sie veräußerten alle materiellen Dinge, an denen keine persönlichen Erinnerungen hingen, und verzichteten auf Neuanschaffungen. Zudem hatten sie darauf gewartet, dass Romy ihre kleine Familie erweiterte und alt genug war, um die Reise bewusst zu erleben.
Mit eigenen Augen sehen
Denn ihrer Tochter zu ermöglichen, die Vielfalt eines ganzen Kontinents mit ihren eigenen Augen zu sehen, war auch Ziel dieses Abenteuers. Mit dieser Idee wurden sie bei ihrer letzten Tour „infiziert“, die das Ehepaar auf dem Landweg von Deutschland nach Indien führte. Am Strand von Goa stießen sie auf viele Gleichgesinnte, die mit ihrem Nachwuchs oder noch schwanger unterwegs waren. „Viele denken, dass man so eine Reise nur ohne Kind machen kann“, erklärt Michaela Schmitt. Sie traten mit der Fahrt auf der Panamericana den Gegenbeweis an.
Dieses Netz an Straßen erstreckt sich über die gesamte Nord-Süd-Ausdehnung des amerikanischen Kontinents und verbindet somit Alaska mit Feuerland. Bis auf ein Teilstück von etwa 90 Kilometern zwischen Pa­nama und Kolumbien ist die Pan-americana komplett befahrbar. Das Netzwerk umfasst gut 48000 Kilometer Schnellstraße und ist in seiner längsten Verbindung von Nord nach Süd etwa 25750 Kilometer lang.
Zirka 1000 Abenteurer begeben sich pro Jahr auf die Reise quer durch Amerika. Familie Schmitt zählt zu den wenigen, die sie ganz in Angriff nehmen und selbst dann noch nicht genug haben. „Wir wollen noch nicht aufhören“, beschlossen sie 30 Kilometer vor dem Zielhafen in Uruguay, von dem aus sie eigentlich die Rückreise nach Europa antreten wollten. Und so hängten sie weitere drei Monate dran. Nachdem sie die Strecke von Norden bis zum südlichsten Punkt des Kontinents befahren haben, ging es nun wieder Richtung Norden durch Brasilien, Paraguay und letztlich Uruguay. Ihr Reisekilometerzähler schraubte sich dadurch auf 100000 Kilometer hoch.
Trotz der Mühen und Einschränkungen, die die Familie vorab auf sich genommen hatte, war es nie Gesetz, dass die Reise auf Biegen und Brechen durchgezogen werden muss. Wenn irgendetwas für einen der Mitreisenden grundlegend nicht gepasst hätte, bestand jederzeit die Möglichkeit, und vor allem die Bereitschaft, alles stehen und liegen zu lassen und nach Hause zurückzukehren.
Super ergänzt
Die knapp zweijährige Romy hatte keine Probleme sich an das Nomadenleben zu gewöhnen. Es habe sich „super ergänzt“, dass die Kleine eher eine Langschläferin ist, während die Eltern zur Gattung der Nachteulen zählen. Und auch Levi entpuppte sich als pflegeleichter Mitreisender: Er hat viel geschlafen, wenig geschrien und beim Stillen so gut getrunken, dass er schnell zugenommen hat.
Bereits seine Geburt verlief zum Glück reibungslos. Sofort nachdem Michaela Schmitt von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, rechnete sie aus, wo sie sich zum Zeitpunkt der Niederkunft aufhalten werden. Heraus kam: Mexiko. Die werdende Mutter fand per Internet in

Am Ende der Welt, aber nicht ihrer Reise: Familie Schmitt (mittlerweile zu viert) in Ushuaia.

Cancun in der mexikanischen Karibik ein Krankenhaus mit europäischem Standard und daran angeschlossener Kinderklinik.

Der für ihre Reisezwecke umgebaute „Frosch“ versprüht zwar den Charme von Abenteuer, Freiheit und Unabhängigkeit. Doch für den Monat vor und nach der Geburt tauschte die kleine Familie dessen acht Quadratmeter Grundfläche dann doch lieber gegen ein Apartment ein. Und kaum hatten sie wieder einen festen Wohnsitz, fingen sie sich eine Erkältung ein – dank der Klimaanlage. Den Rest der zwei Jahre blieben sie von Krankheiten verschont. Wenn man mal von gelegentlichem Magengrummeln absieht, was aber ganz normal ist, wenn man bedenkt, dass man diverse Klimazonen durchquert und ständig mit einer anderen landestypischen Küche konfrontiert wird, die natürlich auch ausgiebig getestet wurde. In Peru gab es Inka-Cola, Alaska lockte mit fangfrischem Lachs, in Mexiko gab es vor Taccos und Tortillas kein Entkommen und auch ein Meerschweinchen (Leibspeise in Peru und der Andenregion allgemein) fand sich auf ihren Tellern wieder. Fleisch war auch in Argentinien ein großes Thema, wobei Familie Schmitt jenes in Brasilien noch besser mundete.
Während in den Vereinigten Staaten hauptsächlich „Frosch“ die Blicke auf sich zog, standen ab Mexiko vor allem die kleine Romy und der stetig wachsende Bauch von Michaela Schmitt im Zentrum des Interesses der Einheimischen. Je südlicher sie kamen, umso stärker prägten Kinder das Straßenbild. Die bis dahin etwas zurückhaltende Romy wurde von den anderen Kindern sofort aufgenommen und zum Spielen eingeladen. Levi hingegen habe es von Anfang an genossen, welchen Schlag er bei den Lateinamerikanerinnen hat, erinnert sich seine Mutter. Die beiden haben auch oft Spielzeug von den Einheimischen geschenkt bekommen.
Kein Selbstfindungstrip
Auch wenn die Reise dazu dienen sollte, für eine Zeit aus dem Alltag herauszukommen und nur das zu machen, worauf man gerade Lust hat, war das Ganze kein Selbstfindungstrip. Eine gewisse Kommunikation mit Familie und Freunde fand die ganze Zeit über statt. „Der Kopf war schon auf Reisen, doch irgendetwas hat einen immer versucht einzuholen“, sagt die 39-jährige Steuerfachangestellte. Erst nach etwa vier Monaten sind sie so in ihrer neuen Freiheit und Ungebundenheit aufgegangen, dass sie nicht mehr sagen konnten, welches Datum gerade war.
Und auch sonst legten sie schnell eine beneidenswerte Gelassenheit an den Tag. Während manch einer angesichts der recht behäbigen Arbeitsweise lateinamerikanischer Grenzbeamter wohl mehr als einmal aus der Haut gefahren wäre, ließen die Schmitts das sich hinziehende Pass-prozedere geduldig über sich erghen. „Man tut sich keinen Gefallen wenn man sich aufregt“, ist Michaela Schmitt überzeugt.
Während der Reise hielt sie die Daheimgebliebenen mit einem Internetblog (www.hippie-trail.de) auf dem Laufenden. Zurück in Deutschland wollte sie auch für ihre Kinder etwas erschaffen, dass sie an dieses erste große Abenteuer ihres Lebens erinnern sollte. So entstand die Idee ein Buch zu schreiben. Auf knapp 500 Seiten beschreibt sie die zahlreichen landschaftlichen und kulturellen Schätze entlang des Weges sowie die menschlichen Begegnungen, die diese Reise so wertvoll gemacht haben. Vor kurzem waren sie in der Talk-show von Markus Lanz zu Gast und erzählten auch im Studio der SWR-Landesschau ihre Geschichte. Und deren Fortsetzung ist schon in der Mache: Wenn alles klappt, begibt sich die Familie ab Frühjahr auf die Seidenstraße nach Asien. mes
Michaela Schmitts Buch trägt den Titel „Ausreisser – Abenteuer Panamericana – In zwei Jahren von Alaska nach Feuerland“; ISBN: 978-3-00-059427-4.

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