Sonderausstellung im Hällisch-Fränkischen Museum mit Zipperer-Kaltnadelradierungen
ROTHENBURG/SCHWÄBISCH HALL – Sie bietet nicht zuletzt auch einen interessanten Blick auf das alte Rothenburg vor der Kriegszerstörung am 31. März 1945: Die als Retrospektive angelegte Ausstellung im Wintergarten des Hällisch-Fränkischen Museums in Schwäbisch Hall mit Werken des 1982 verstorbenen Grafikers und Malers Ernst Zipperer.
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„Röderbogen mit Brunnen“, Kaltnadelradierung in Farbe von Ernst Zipperer. Foto: privat
Er gilt als einer der ganz Großen der Kaltnadelradierung und ist über Deutschland hinaus bekannt. Zwischen 1920 und 1925 war er in Rothenburg, um hier Bleistiftzeichnungen anzufertigen, die er dann, zurück in Berlin, auf Kupferplatten übertrug und drucken ließ, zirka 100 bis 150 von einer Platte.
Leider ist nichts Näheres zu seinem damaligen Aufenthalt beziehungsweise zu seinen damaligen Aufenthalten in Rothenburg bekannt. „Es ist eher anzunehmen, dass er zu den Rothenburger Künstlervereinigungen keinen Kontakt hatte,“ vermutet dessen Enkel Lothar Zipperer auf Anfrage unserer Re-daktion.
Pure Idylle
Zwei Handvoll Motive sind es, die der Künstler vor Ort mit dem Bleistift zeichnete und dann in seinem unverkennbaren Stil weiter umsetzte. Darunter Idyllen um den Röderbogen und um den Weißen Turm, ein Blick über die Dächer und Häuserfronten hinauf zum Rathausturm, das Portal am Aufgang zum Kaisersaal und ein reizvoller Ausschnitt um den Herterichsbrunnen mit Blick ein Stück hinunter auf die Fronten der Herrngassen-Häuser.
Das Kobolzeller Tor hatte es ihm so angetan, dass er es gleich in zwei völlig unterschiedlichen Spielarten umsetzte: aus der Sicht von oben wie es sich damals vermutlich wirklich dargeboten hat und von unten in einer Variante, die man sich heute nur noch schwer als damals real existent vorstellen kann.
Wo er wohl zu suchen wäre, sein „Winkel in Rothenburg“, den er damals bei seinem Aufenthalt in der Tauberstadt in seiner unnachahmlichen Art abbildete und ausdeutete? Falls er wirklich exisitiert beziehungsweise existierte und nicht der Phantasie des Künstlers entsprang.
Nach der Ernst-Zipperer-Biografie, die zur Ausstellung zusammengestellt wurde, hat mit Reisen durch Europa und Amerika die erste große Schaffensphase des Künstlers begonnen: „Er nimmt wahr und zeichnet, radiert und druckt – vor allem Burgen, Stadtansichten, Kirchen und Landschaften – mit einem sinnierenden, ordnenden Blick und der Intention, zu einer künstlerischen Aussage zu finden. Er will nicht nur die Wiedergabe der Wirklichkeit, er sucht eine eigene Bildsprache. Es ist ein Ringen um Ausdruck, um Schaffung einer neuen Bildwelt und die Übersetzung seiner Wahrnehmung ins Künstlerische: Der Betrachter soll den Weg hinein in die Wahrnehmungswelt des Künstlers finden.“
Durch seine Kaltnadelradierungen wurde Ernst Zipperer in Deutschland, England und Amerika bekannt. Bei dieser Technik wird, wie bei Wikipedia, der freien Enzyklopädie im Internet, nachzulesen ist, die Zeichnung unter Krafteinsatz mit einer in Holz gefassten Stahlnadel oder mit einer aus massivem Stahl bestehenden, etwas schwereren Radiernadel in die Druckplatte geritzt. Dabei zieht ein stärkerer Druck der Nadel auch eine stärkere Linie nach sich. Das Eigengewicht der massiven Radiernadel erleichtert das Einritzen. Zu beiden Seiten der Rillen stellt sich Material auf und bildet einen scharfen Grat. Alle Flächen bestehen aus einer Konzentration von vielen Linien. Es folgt keine Ätzung.
Auf die Platte wird, wie bei der Radierung, vollflächig Druckfarbe aufgetragen und anschließend wieder blankgewischt. Dabei bleibt im feinen Grat neben der eigentlichen Linie zusätzlich zur Rille Farbe haften. Auf dem Abzug zeigt sich der Strich als erhöhte Farbablagerung, der Grat als feiner Einschnitt, der manchmal sogar weiß bleibt.
Im samtenen Ton
Eine samttonige Verschattung, die sich dem Grat anschließt, gibt die Farbe wieder, die beim Wischen an den Außenseiten des Grates haften bleibt. Die dadurch entstehende malerisch anmutende Wirkung ist das Erkennungsmerkmal gegenüber dem geätzten Strich der Radierung.
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Ernst Zipperer 1968 bei der Arbeit. Foto: Hans Kubach, Schwäbisch-Hall
Ernst Zipperer lebte und wirkte in Berlin. Er pflegte Freundschaften und Kontakte mit Künstlern wie August Gaul, Heinrich Zille und Max Liebermann sowie mit dem einflussreichen Kunsthändler Paul Cassirer. 1888 wurde er in Ulm als Sohn des Sattlermeisters Ernst Hermann Zipperer geboren. Er erlernt zunächst den Beruf seines Vaters im elterlichen Betrieb. Bald nach der Gesellenprüfung folgt er seiner Liebe zur Kunst und studiert an den Kunstgewerbeschulen in Hannover und Kassel sowie der Kunstakademie in München.
Im 1. Weltkrieg wurde Ernst Zipperer in Russland schwer verwundet und büßte dadurch ein Auge ein. 1918 heiratete er Elisabeth Nestler und trat in Berlin am renommierten Gymnasium Friedenau eine Stelle als Kunsterzieher an. Gleichzeitig arbeitet er als freischaffender Künstler und reiste in Mitteleuropa und England.
1931 kaufte Ernst Zipperer das Schloss mit Hofgut Tannenburg bei Bühlertann im Kreis Schwäbisch Hall, ließ sich 1940 frühpensionieren und zog dorthin um. In den darauffolgenden Kriegsjahren kam die künstlerische Arbeit weitgehend zum Erliegen. 1951 übergab er die Tannenburg an seinen Sohn Ernst Wilhelm und konnte sich nun wieder seiner Kunst widmen.
Die zweite große Schaffensphase des Künstlers war geprägt von Aufbruch und neuen Ideen. Die Schaffensbewegung verlief – entlang der kunstgeschichtlichen Entwicklung seiner Zeit – von der realistisch-naturalistischen Darstellung hin zur abstrakt-reduktionistischen Kernaussage seiner Bilder: In Pastell- und Ölkreide, in Tempera- und Ölfarben sowie in pastellartigen Heliogravüren fand er adäquate Materialien und Verfahren, um seinen visionär-religiösen Weg auszudrücken. Zuweilen zurückhaltend-achtsam, dann wieder kraftvoll-dynamisch verlieh er seinen inneren Welten Ausdruck.
1963 zog Ernst Zipperer von der Tannenburg nach Bühlertann (zwischen Schwäbisch Hall und Ellwangen) um. Nach Verschlechterung der Sehkraft seines verbliebenen Auges musste er 1972 sein künstlerisches Schaffen einstellen. Die letzten Lebensjahre verbrachte er bei seiner Tochter in Flein bei Heilbronn. Ernst Gustav Zipperer starb 1982 mit 94 Jahren und wurde in Bühlertann begraben. -ww-
Die Sonderausstellung „Ernst Zipperer (1888 – 1982) – Auf den Spuren seiner Kunst“ im Wintergarten des Hällisch-Fränkischen Museums ist noch bis zum 30. September zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.