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Dichter und Denker heute

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Offenes Mikrofon: Jeder kann ein moderner Märchenerzähler sein

ROTHENBURG – Sie wussten das Publikum beim „Poetry Slam“ mit ihrer Sprachgewandtheit zu überzeugen: Vier „Slammer“ trafen beim Rothenburger „Slanimal“-Wettbewerb aufeinander. Darunter zwei Neueinsteiger, die erstmals an das Mikrofon traten und Selbstgetextetes im Jugendzentrum zum Besten gaben.

Eigene Ideen wortreich präsentiert: die vier mutigen Sprachkünstler mit Moderator (re.).   Fotos: Schwandt

Eigene Ideen wortreich präsentiert: die vier mutigen Sprachkünstler mit Moderator (re.). Fotos: Schwandt

Moderator Martin Hönl, ein aktiver und erfahrener „Slammer“ aus Dietenhofen, stimmte das Publikum mit eigenen Texten auf die einzelnen Runden des modernen Dichterwettstreits ein und hatte mit Leonie Hartung (Lolo-Logie) aus Regensburg gleich zum Auftakt eine erfahrene „Slammerin“ auf der Bühne (siehe Interview-Kasten).

In einer Art „Konferenz der Tiere an einem Ort zu einer Zeit“ ließ sie dem letzten Einhorn die Entscheidung über die „Aufnahme der Freunde von Irgendwo“ in die Gemeinschaft. An das Publikum gewandt richtete sie die Worte des letzten Einhorns: „Gebt ihnen eine Chance“, in Anlehnung an die Asylbewerber, die hier eine „Heimat auf Zeit“ suchen.

Einige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge waren zum „Poetry Slam“ gekommen, unter ihnen Pascal aus Gambia, der von einer Familie in Schmerbach aufgenommen wurde, in Begleitung seines Freundes Christian. Pascal versteht zwar nicht alles, aber Lolo-Logie hat ihn begeis­tert, denn sie sucht den Blickkontakt mit dem Publikum, weiß rhetorisch klug zu agieren.

Jutta Gromes aus Weikersheim ist dreifache Mutter und erstmals auf der Bühne. Während sie in der ersten Runde mit ihrem Märchen von der verwandelten Robbe, die als Menschenfrau einen verarmten Bauern heiratet und ihm Glück bringt, nur wenige Punkte erhaschen kann, heimst sie in Runde zwei den Spitzenwert des Abends ein. 43 Hände heben sich, nachdem sie ihre „Heldensaga“ von ihrem Einkauf mit drei kleinen Kindern im Supermarkt-dschungel pointenreich erzählt, Szenenapplaus inklusive.

Dichte Sprache

Korbinian Schmid aus Gerolsbach ist ebenfalls „Slam“-Profi und begibt sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens, indem er drei klugen Tieren, einem Fuchs, einer Elster und einem Hasen die Antworten in den Mund legt. Temporeich und spannend ist sein Vortrag, dicht seine Sprache.

Aus Dinkelsbühl kam Erwin Heinle angereist – er versieht die Menschen mit unzähligen gängigen ani­malischen Attributen, so läuft einer an wie ein Krebs, der nächste ist bekannt wie ein bunter Hund, wieder einer will kein Frosch sein und natürlich darf das schwarze Schaf nicht fehlen. Hier fiel es den Zuhörern schwer, zu folgen, wenngleich sich die Geschichte ideenreich gestaltete. Aber schließlich stand Erwin ebenfalls erstmals auf der Bühne und er begeisterte in Runde zwei mit einem „Rap“ zum Thema Mann, der in der Pubertät auf der Suche nach sich selbst ist.

Korbinian schließlich erzählte in Runde zwei seine Sage „Vom Mann aus dem Osten“, der seine Heimat verlässt und nach einer Odyssee durch die Welt zum Retter seines Dorfes wird. Selbstbewusst und überzeugend ist sein Auftreten, treffsicher gewählt sind seine Worte, und es kommt in der Entscheidungsrunde zum Duell der erfahrenen „Slammer“ Lolo-Logie und Korbinian.

Während Korbinian „Die Welt“ anhand eines freiheitsliebenden, selbstbestimmten jungen Mannes erklärt, beschäftigt sich Lolo-Logie mit der Liebe, formuliert ein Plädoyer für Toleranz und Mitmenschlichkeit. Er ist kaum zu hören, der kleine, aber entscheidende Unterschied in der Lautstärke des Applauses, mit dem das Publikum Lolo-Logie zur Gewinnerin des Abends erklärt.

Die meisten der Zuhörer waren noch nie bei einem „Poetry Slam“ dabei. Beeindruckt zeigten sie sich jedoch alle, denn die vier Vortragenden drückten auf ganz unterschiedliche Weise aus, was sie bewegt, was sie fordert, worüber sie nachdenken, welche Lebensziele sie sich setzen. Viele der überwiegend jugendlichen Zuhörer konnten sich in das Gesagte einfinden, ja damit identifizieren. So bleibt zu hoffen, dass die Jugend weiterhin das Wort ergreift, aufrüttelt und bewegt.

Der „Poetry Slam“ war Bestandteil des Programms der 23. Jugendkulturtage im Landkreis Ansbach. Durch die finanzielle und organisatorische Unterstützung durch den Kreisjugend­ring Ansbach und die Kommunale ­Jugendarbeit des Landratsamts konnten auch in diesem Jahr wieder Veranstaltungen der Jugendkulturtage in Rothenburg stattfinden.

Durch die Einbindung in den Rothenburger Märchenzauber wurden die Mitarbeiter des Jugendzentrums, Michael Feidel und Ulrike Laudenbacher-Herud, sowie Maja Lomb, Mitarbeiterin bei der Evangelischen Jugendsozialarbeit in Rothenburg (EJSA), vor Ort von Johanna Kätzel, zuständig für die Bereiche Kunst und Kultur bei der Stadt Rothenburg fachlich unterstützt. sw


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