In der Muttersprache lassen sich anspruchsvolle Inhalte besser verstehen und ausdrücken
ROTHENBURG – Die seit 1982 bestehende Partnerschaft zwischen den Dekanaten Rothenburg und Hai sucht Gemeinschaft und Antworten auf ihre Glaubens- und Lebensfragen. Gemeinsam mit- und voneinander lernen ist die wichtigste Voraussetzung für die Lösung der Zukunftsprobleme. Beim jüngsten Tansania-Forum im Jakobsschulhaus ging es um die Verständigung über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg. Die Macht der Worte hat Einfluss auf das Denken – die Muttersprache als Teil der Identität beeinflusst sogar, wie wir die Welt sehen.

Barbara Kammleiter gab schöne Beispiele.
Tansania ist vor allem bekannt für die Gewürzinsel Sansibar und den majestätischen Mount Kilimanjaro. Das Land hat aber auch eine Vielfalt an Kulturen zu bieten. Etwa die Massai im Norden oder die arabischen Swahilis an den Küsten. In Tansania gibt es mehr als 120 Volksgruppen und lokale Sprachen. Die gemeinsame Sprache ist Kisuaheli. Zum Einstieg in das neunzehnte Tansania-Forum stimmte Pfarrerin Barbara Wirsching, Dekanatsbeauftragte für die Partnerschaftsarbeit, das Lied „Nina haja nawe“ an. Der kleine musikalische Sprachkurs zeigte, dass die Vokale etwa wie im Deutschen ausgesprochen werden. Als Gastreferentin berichtete Susanne Krüger, die dreizehn Jahre für die international tätige christliche Organisation „Wycliff“ in Tansania Spracherkundungsarbeit leistete, von ihren Erfahrungen und Erkenntnissen. Die gebürtige Mönchengladbacherin hat in Düsseldorf Deutsch und Englisch studiert und ist in der evangelischen Landeskirche aufgewachsen. 2009 wurde sie Koordinatorin der gesamten Spracharbeit in Tansania und Uganda. „Wycliff“ setzt sich dafür ein, dass Menschen aus unbeachteten Volksgruppen eine geeignete Schrift für ihre Sprache entwickeln können, eine theologisch und sprachwissenschaftlich fundierte Bibelübersetzung bekommen und Schulunterricht in der Muttersprache erteilt wird. Sprache beeinflusst tagtäglich, was wir wahrnehmen und woran wir uns erinnern. Darin sind sich die Sprachforscher einig. Die einen sind sogar überzeugt, dass unsere Sprache unser Denken bestimmt – und dass Menschen deshalb sogar in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denken. Und dass wir uns tatsächlich schon mit unserer Muttersprache bestimmte Denkmuster aneignen, die unser Leben auf überraschende Weise beeinflussen. Es gibt die offensichtliche Wirkung der Worte: Wer eine Liebeserklärung bekommt oder in einen heftigen Streit gerät, der spürt, wie Sprache berührt. Worte können trösten oder tief verletzen, manche hängen einem tage- oder gar jahrelang nach. Auch unsere eigenen Worte wirken auf uns.
Barbara Kammleiter berichtete mit dem ihr eigenen Charme und Witz von ihrer und Reiners Geschichte in Tansania, die immer auch eine Geschichte von Verständigung zwischen den Kulturen war und noch ist. Es reicht nicht, die Sprache Kiswahili oberflächlich zu lernen – viele kleine, aber besonders wichtige Feinheiten können falsch gemacht werden und wurden natürlicherweise falsch gemacht. So begann auf dem Wege des „try and error“ eine 22–jährige Lernzeit, als die beiden, – zunächst noch ohne Kinder – 1994 vom Bayerischen Missionswerk an die Handwerkerschule nach Hai am Fuße des Kilimanjaro ausgesandt wurden, unterstützt vom Partnerdekanat Rothenburg. Die Höflichkeit der Tansanier ist überwältigend – so war es für die Neulinge zunächst einmal wichtig, auch hinter die Kulissen schauen zu lernen. So sagen Tansanier anderen, besonders Gästen, niemals eine derbe Kritik mitten ins Gesicht. Wenn etwas ganz und gar nicht geht, dann ist die tansanische Reaktion darauf vielleicht so: „Das ist ja schon wirklich ein bisschen sehr gut.“ Die Kommunikation ist eher indirekt, die persönliche Begegnung und das ausgiebige Gespräch sind besonders vor jeder Entscheidung unglaublich wichtig, wobei es auch immer dazu gehört, dass nach dem Wohlergehen der Familie, der Kinder, Ehepartner, Eltern und Großeltern gefragt wird.

Pfarrer und Gemeindeglieder aus dem Dekanat nahmen am Tansania-Forum teil. Fotos:sis
Gut, dass Reiner und Barbara Kammleiter von Anfang an darauf eingestellt waren, sich in die tansanische Gemeinschaft einzufügen und einfach mitzuarbeiten. Mit der Geburt der drei Söhne verbesserte sich die Sprachfertigkeit, da der Spracherwerb bei den Kindern viel schneller geht und die Eltern wiederum von ihren Kindern lernen. Trotzdem war Barbara Kammleiters halb ernsthaftes Fazit beim Tansania-Forum letztlich: „Je mehr man versteht, desto weniger versteht man.“ Einige Fallen für Missverständnisse: Während bei uns ein Augenbrauenhochziehen ein Missfallen oder eine Warnung ausdrückt, bedeutet diese Geste in Tansania höchste Zustimmung. Ein bestimmtes Schnalzgeräusch mit der Zunge bedeutet: „So ein Quatsch!“ Mit nur einer Schulter zucken heißt: „Nein, ganz sicher nicht.“ Für großes Entsetzen bei tansanischen Gastgebern sorgt manchmal, wenn deutsche Reisegruppen bei einem Fest aus lauter Mitgefühl mit den armen hungrigen Kindern die angebotenen Speisen nicht essen wollen und die vollen Teller zu den Kindern bringen. Bei den Gastgebern kommt an: „Unser Essen war den Deutschen nicht gut genug.“ Wer in Tansania bestehen will, muss sich an die Weisung halten: „Expect the unexpected“ – „erwarte das Unerwartete“. In dieser Haltung hat auch Reiner Kammleiter mit der Unterstützung seiner Frau Barbara in den letzten 22 Jahren so manches Unerwartete geleistet. Ausgesandt als Schulleiter und Praktiker, aber auch als Missionare, die zeigen sollten, wie Christsein im Alltag, im Schulbetrieb und im Handwerk funktionieren kann, waren die beiden immer stark herausgefordert. Vorbilder mussten und müssen sie sein in der klaren Haltung gegen Bestechlichkeit und für eine integre durchsichtige Lebensführung.
Als Kammleiters 1994 kamen, bestand die Handwerkerschule gerade mal zwei Jahre, errichtet auch mit Hilfe des Dekanats Rothenburg. Sechs Lehrer waren angestellt, 32 Schüler wurden unterrichtet. Seitdem ist viel geschehen. Reiner Kammleiter baute die Schule mit der Unterstützung seiner Frau stetig weiter aus – beim Tansania-Forum berichtete er, dass es nun 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 18 Lehrerinnen und Lehrer und 275 Schülerinnen und Schüler gäbe. Zu den bisherigen Fachrichtungen Schneider, Schreiner, Schlosser, Maurer, Elektriker kommt im nächsten Jahr noch die Fachrichtung Hotelmanagement hinzu. Verschiedene Computerkurse – auch für Auswärtige – werden angeboten. Hierfür konnten zuletzt 24 neue PCs angeschafft werden inklusive spezieller Batterien und eines Inverters, die den häufigen Stromausfall abpuffern. Sorgen macht der wieder zu kurze Regen in diesem Jahr. Wahrscheinlich wird die Ernte auf den Schul-äckern bescheiden ausfallen. Die gleiche Botschaft übermittelte auch Dekan Swai in einem Brief an die Partnerschaftsbeauftragte Beate Wirsching. Er bangt besonders um die Menschen in der Maasai-Steppe. Ihm ist es ein Herzensanliegen, dass gerade im Bereich Landwirtschaft ein Umdenken beginnt um den Herausforderungen der Zukunft besser gewachsen zu sein. Eine kleine Landwirtschaftsschule ist in der Planung. Auf jeden Fall ist klar: Die Hilfe aus Rothenburg ist wieder und weiterhin unverzichtbar. In den letzten Jahrzehnten hat sie sehr viel Segen gebracht. Im Mai nächsten Jahres erwartet das Dekanat hohen Besuch aus Tansania. Darunter Dekan Aminirabi Swai mit seine Frau Neema Ndooki und den leitenden Bischof Dr. Frederick Shoo (er hat in Neuendettelsau promoviert). Dazu den verantwortlichen Agraringenieur für das Landwirtschaftsprojekt in der Maasai-Steppe, Jakocob Musihi sowie Sister Elly Urio (Pfarrerin und Leiterin des Lyamungo Retreat Centers, wo Rothenburger Gäste immer wohnen), den Sekretär des Dekanats Hai, Ernest Masawe, und den neuen, jungen Dekanatsdiakon Christian Lema. Der Hintergrund: An Himmelfahrt 2017 indet im Neusitzer Ortsteil Södelbronn eine dekanatsweite Veranstaltung unter dem Motto „500 Jahre Reformation“ statt, bei der Lutheraner aus Rothenburg und Tansania gemeinsam feiern. Für 2018 plant Beate Wirsching eine Begegnungsreise. „Was und wie weiß ich noch nicht“, sagt sie, „aber sie soll kein ‘pfarrliches Übergewicht’ haben.“ ng/sis