Vorweihnachtlicher Besuch französischer Gastschüler
ROTHENBURG – Man lernt Land und Leute erst richtig kennen, wenn man mit ihnen den Alltag verbringt, heißt es. Eine Gruppe französischer Schüler bekam kurz vor Weihnachten einen kleinen Einblick in das tägliche Leben in Deutschland als sie im Rahmen des Schüleraustausches mit dem Reichsstadt-Gymnasium nach Rothenburg kamen: Von kulinarischen Winkelzügen, sonderbaren Deko-Elementen und dermatologischen Wunderheilungen.

Kulturaustausch im Schnelldurchlauf: In nur einer Woche sammelte die deutsch-französische Schülergruppe einmalige Erinnerungen. Fotos: privat
„Macht auf jeden Fall bei einem Schüleraustausch mit“, rät Tim, Schüler am Reichsstadt-Gymnasium, der im vergangenen Jahr zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, die französische Kultur im direkten Kontakt mit Jugendlichen von der anderen Rheinseite kennenzulernen. Mitte Dezember machten sich 25 Schüler des Lycée Marcel Pagnol in Athis-Mons mit drei Lehrerinnen zum Rückbesuch in die adventliche Tauberstadt auf.
Sechs von ihnen wollten bei der Gelegenheit auch in die deutsche Arbeitswelt hineinschnuppern und absolvierten deshalb Kurz-Praktika in der Gastronomie, in der Schule, im Einzelhandel und in einem Betrieb für IT-Dienstleistungen. Die Schüler haben sich bei ihren engagierten und unkomplizierten Arbeitgebern auf Zeit sehr willkommen gefühlt. Trotz des Arbeitseinsatzes versuchten sie soviel wie möglich mit ihren Altersgenossen und den Gastfamilien zu unternehmen.
Bei der sprachlichen Verständigung waren in der deutsch-französischen Gruppe alle Spielarten vorhanden: Tims Austauschpartner etwa scheute sich ein wenig vor der deutschen Sprache und wollte sich nur auf französisch unterhalten. Nelas Gastschülerin hingegen habe „richtig gut Deutsch gesprochen“, erzählt sie beeindruckt. Und Paula kam mit ihren Austauschschülern überein, dass die wirklich wichtigen Dinge – wie etwa Terminvereinbarungen – zur Sicherheit auf Englisch ausgemacht werden.
Verbesserte Sprachfertigkeit
Trotz etwaiger Rückgriffe auf eine gemeinsame Fremdsprache, stellten alle deutschen Schüler eine Verbesserung ihrer Sprachfertigkeiten durch den ständigen Gebrauch der Fremdsprache in bekannten Alltagssituationen fest. „Viele französische Wörter sind mir da wieder ins Gedächtnis gekommen“, sagt Luisa.
Gegenüber den Franzosen sei es ihr leichter gefallen, sich in deren Sprache zu verständigen, weil es da um Themen ging, die sie selbst interessierten. Und ihre Gastschülerin habe sich dabei auch Mühe gegeben, nicht in den Dialekt oder die Jugendsprache zu verfallen. Tim ergänzt, dass es grundsätzlich im Französisch-Unterricht schwieriger sei mit einem ebenso sprachlich unsicheren Mitschüler einen Dialog auf Französisch hinzubekommen.
Alena bemerkte zudem, dass sich ihre Aussprache nach der Woche Dauer-Französisch-Parlierens deutlich verbessert habe. Sich sprechen zu trauen, wird durch den persönlichen, engen Kontakt ebenfalls gefördert, bestätigen die beiden für den Schüleraustausch auf deutscher Seite verantwortlichen Lehrerinnen Christine Mägerlein und Julia Ferger.

Gemeinsames Plätzchenbacken kurz vor dem Abschied.
Neben der sprachlichen Schützenhilfe brachte der Austausch für beide Seiten Einblicke in die Alltagskultur der jeweils anderen Nation, für die sie in Reiseführern lange hätten blättern können. So wurde beispielsweise der zur Standard-Weihnachtsdekoration vieler deutscher Haushalte gehörende Adventskranz von einem französischen Schüler mit dem Satz quittiert: „Was soll denn das runde Ding auf dem Tisch?“ Der leuchtende Adventszeitmesser führt bei der „Grande Nation“ halt (noch) ein Schattendasein.
Budenstadt beeindruckte
Aber auch bei Weihnachtsmärkten sind die Franzosen nicht gerade verwöhnt. Mit Rothenburg und Nürnberg, wohin sie einen Tagesausflug machten, konnten sie das absolute Kontrastprogramm zu ihrer Heimat kennenlernen. Aber selbst die äußerst beschaulichen Weihnachtsmärkte in kleineren Ortschaften empfanden die französischen Gäste als riesig, wundert sich Tim.
Mit der Metropole Paris vor der Haustür sind die französischen Schüler ganz andere architektonische Dimensionen gewöhnt. Dennoch konnten sie der idyllischen Tauberstadt und ihrem Umland einiges abgewinnen. Nela erinnert sich, dass sie sehr interessiert die Stadtführung mitmachten und auch fleißig Fragen zur Stadt und ihrer Geschichte stellten.
Luisas Gast war von der vielen Natur dem geringen Verkehrsaufkommen und der guten Luft in und um Burgbernheim begeistert. Letzteres verhalf dem einen oder anderen Besucher sogar dabei, zumindest zeitweise, von der Last jugendlicher Hautprobleme befreit zu werden. Auch wenn es Tims Austauschpartner hier gefallen hat, käme für ihn ein Umzug nach Rothenburg nicht in Frage. In Paris sei einfach viel mehr geboten. Liebe geht bekanntlich ja durch den Magen. Aber auch der binationalen Freundschaft kann ein kulinarischer Genuss nur zuträglich sein. So manche kleine Startschwierigkeit galt es dabei allerdings zu überwinden, etwa eine ausgeprägte anfängliche Skepsis gegenüber dem weltberühmten deutschen Schwarzbrot.
Paula wollte sich mit ihrem Chilli nicht in die Nesseln setzen und servierte – aus Rücksicht auf das kulinarische Nationalheiligtum der „Grande Nation“ – statt eines deutschen Baguettes dann lieber gleich Brezen, die auch mit Begeisterung verspeist wurden. Und Tim kann immer noch nicht nachvollziehen, dass manche „Gourmets“ in Frankreich es scheinbar vorziehen, die einzelnen Bestandteile eines Gerichts nicht zusammen, sondern streng nacheinander zu essen.
Abschied nach einer Woche
Nach einer Woche, mit Erkundungstouren in Rothenburg und Nürnberg, gemeinsamen Schulbesuchen und Aktivitäten wie etwa Plätzchenbacken, hieß es auch schon wieder Abschied nehmen – dabei hatte man sich gerade erst in der neuen Situation eingefunden. Nela etwa hat mit ihrer Austauschschülerin das Zimmer geteilt. „Es ist komisch, dass ich jetzt wieder allein bin“, findet sie.
Zum Glück stellen heutzutage die zirka 700 Kilometer zwischen Rothenburg und Athis-Mons keine ernsthafte Gefahr dar, sich aus den Augen zu verlieren. Deshalb wurden fleißig Kontaktdaten ausgetauscht – und sei es nur wie im Falle von Tim, um dem Austauschpartner sein vergessenes Gepäck wie Rucksack und Winterjacke hinterherzuschicken. mes