Individuelle Entwicklungspläne innerhalb und außerhalb der Altstadt
ROTHENBURG – Im Stadtbild von Rothenburg finden sich markante Häuser und schöne bauliche Details. Welche Geschichten hinter den Objekten stecken, zeigen zwei Beispiele, die kürzlich Thema im Bauausschuss waren.

Bezugsfertig: Das sanierte Wohnhaus in der Wenggasse ist bereits vermietet. Foto: Schäfer
Auf Vermittlung des Rothenburgers Max-Stephan Zimmer hat Zahnarzt Dr. Ludger Ernst aus Fulda vor etwa drei Jahren einen denkmalgeschützten Altbau in der Wenggasse erworben und aufwändig saniert. Die beiden Männer sind gute Bekannte und haben Erfahrung mit historischer Bausubstanz. Die junge Familie Zimmer hat sich mit dem Umbau eines denkmalgeschützten Altbaus in der Klingengasse den Traum vom eigenen Haus in der Altstadt verwirklicht, der Zahnarzt ein stilvolles Ambiente für sein berufliches Umfeld in der Barock- und Museumsstadt Fulda. Nach reiflicher Überlegung und Beratung hat der Mediziner beschlossen, den Sanierungsfall in Rothenburg gemeinsam mit Architekt Eduard Knoll anzugehen. Rund 900000 Euro investierte er in die fachgerechte Instandsetzung. Der Bauauschuss war bei der Ortsbesichtigung vom Ergebnis sehr angetan.
Das verwinkelte Objekt ohne Grundstück war Herausforderung und Ansporn zugleich. Besonders kompliziert war der Umgang mit dem noch vorhandenen Mittelalterteil. In den fünfhundert Jahren seines Bestehens war das Objekt immer wieder umgebaut und gehörig verändert worden – nicht immer zum Besseren. Eine wesentliche Änderung erfolgte in der Zeit um 1900 mit Aufstockung der Straßenfassade für ein zweites Obergeschoss, unter Beibehaltung eines bestehenden Dachstuhls. Eine weitere Aufstockung gab es für einen Teilbereich der Nordfassade im Jahr 1960.
Das Objekt dürfte einst landwirtschaftlich genutzt worden sein. Der Drehbalken eines Seilaufzugs ist noch vorhanden. Bis in die 1980er Jahre gab es im Erdgeschoss ein Stoff- und Wollegeschäft. Danach bestand dort ein Reisebüro. Zuletzt bewohnte eine Rothenburgerin, die zusammen mit ihrer Tante das Stoffgeschäft betrieben hatte, und deren beide Söhne im Krieg gefallen waren, das Haus allein.
Nach einem Sturz und Umzug ins Altenheim bewerkstelligte die Seniorin mit Unterstützung ihrer auswärts lebenden Stieftochter den Hausverkauf, nachdem das Objekt ein paar Jahre leerstand. Den Erlös aus dem Hausverkauf spendete die großzügige Gönnerin an den Verein Alt-Rothenburg. Mit dem Geld ist eine bessere finanzielle Ausgangsbasis geschaffen worden für die bisher nur angedachte Sanierung des Hauses Judengasse 10 mit dem jüdischen Ritualbad, das der Verein erworben hat, um kulturelles Erbe der Stadt zu bewahren.
In dem Wohnobjekt in der Wenggasse wurden vier kleinere und größere Wohnungen in ansprechender Qualität geschaffen. Die Räumlichkeiten sind bereits vermietet. Moderner Wohnraum in alten Mauern ist begehrt. Die Miete ist auf fünf Jahre festgeschrieben und liegt bei 4,95 Euro pro Quadratmeter zuzüglich Nebenkosten. In die kleinste Einheit zieht ein anerkannter Asylbewerber aus dem syrischen Kriegsgebiet mit seiner Frau ein. Der Rothenburger Arbeitskreis Asyl ist dem Investor aus Fulda für sein Entgegenkommen dankbar auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum, der in Rothenburg knapp ist.
Vor dem Würzburger Tor investiert Hotelier Christian Mittermeier in die Erweiterung seines Betriebes – mit Stil und Ambiente. Ein Wohnhaus in einem benachbarten Gartengrundstück will er zum Beherbergungsbetrieb mit hohem Komfort und stylisch eingerichteten Apartments umbauen. Ein modernes Konzept für ein traditionsreiches Haus. Den Verein Alt-Rothenburg hat Christian Mittermeier frühzeitig in seine Planungen rund um das Anwesen eingebunden. Der Informationsaustausch führte zu einem einvernehmlichen Ergebnis. Vorstand und Ausschuss des Vereins haben keine Bedenken wegen der Änderung der Gebäudenutzung von Wohnraum zu Gewerbe, denn das Gebäude soll in Erscheingungsbild und Substanz erhalten bleiben. Stadtheimatpfleger Prof. Dr. Konrad Bedal vertritt dieselbe Ansicht. Auch der Bauausschuss gab grünes Licht.
In dem Haus steckt Rothenburger Industriegeschichte, mit der sich die Historikerin Dr. Heidemarie Ertle beschäftigt. Ihr Mann, Dr. Jörg Ertle, war Werkleiter bei Lafarge in Hartershofen. Das Ehepaar ist mit Christian Mittermeier befreundet. Bei den Nachforschungen kam Interessantes heraus. 1904 erwarb der Privatier Friedrich Baumann (ehemals Gastwirt), das neue, erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaute Haus Würzburger Straße 1. Das einzige Kind des Ehepaares Baumann, Anna Barbara Baumann, heiratete 1908 Heinrich Schmieg. Heinrich Schmieg stammte aus einer Rothenburger Seifensiederfamilie.
1912 verlagerte AULA ihre Produktion in eine neu errichtete Seifenfabrik vor den Toren der Stadt (Bahnhofstraße 23), die AULA Seifenfabrik. Die Produktion erfolgte dort mit einer Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1970er Jahre. Zu Beginn der 1920er Jahre zog das Ehepaar Heinrich und Anna Barbara Schmieg in sein Elternhaus, Würzburger Straße. Anna Barbara Schmieg lebte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 1955. Ihr einziger Sohn, Friedrich August Schmieg, kehrte nie aus dem Zweiten Weltkrieg zurück (in Stalingrad vermisst).
Dies ist der derzeitige Stand der Dinge, sagt die Historikerin. Leider gibt es keinen Unternehmensnachlass und die Quellenlage ist, was die Zeit der industriellen Entwicklung Rothenburgs um die Jahrhundertwende betrifft, eher dünn. Wichtige Informationen zur Geschichte der AULA hält das Staatsarchiv Nürnberg bereit, „so dass sich auf jeden Fall noch etwas Licht in das Dunkel der Unternehmensgeschichte wird bringen lassen“, meint Dr. Ertle. sis