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Rote Karte für Rassismus

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Kundgebung auf Marktplatz fordert offene und tolerante Stadtgesellschaft

ROTHENBURG – Sich nicht wegducken, Missstände und gesellschaftliche Fehlentwicklungen offen benennen und sich für Toleranz und Mitmenschlichkeit aktiv und stimmgewaltig einsetzen: Mit diesem Ziel kamen am Internationalen Tag gegen Rassismus auch zahlreiche Menschen auf den Rothenburger Marktplatz, um bei der Kundgebung des Migrationsbeirates ihr „Ja zum Miteinander in Vielfalt und Respekt“ zu bekunden.

Unter dem Motto „Rassismus ade! Vielfalt olé“ rief man am Internationalen Tag gegen Rassismus zur Toleranz auf. Fotos: Scheuenstuhl

Unter dem Motto „Rassismus ade! Vielfalt olé“ rief man am Internationalen Tag gegen Rassismus zur Toleranz auf. Fotos: Scheuenstuhl

Es sei eine erschreckende Entwicklung, dass rassistische Parteien in den letzten Jahren immer weiter Zulauf erhalten haben, ergriff Roberto Mandosi, Vorsitzender des Migrationsbeirates, das Wort. Rothenburg ist ein „Ort der Vielfalt“ und das lasse man sich „von Rassisten und Faschisten nicht zerstören“. Auf dem Marktplatz seien diejenigen versammelt, die Toleranz und Vielfalt leben, so Mandosi. Und angesichts des abendlichen Dauerregens bewiesen sie, dass sie alles andere als Schönwetter-Gutmenschen sind.

„Man solle nicht glauben, dass Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, Schmarotzer sind“, wehrte sich der Beiratsvorsitzende gegen das gängige Vorurteil des Sozialbetrugs durch Flüchtlinge, dem nicht zuletzt auch auf politischer Ebene Vorschub geleistet wurde. An diejenigen, die sich jetzt bereits für die Bundestagswahl im September in Position bringen appellierte er, „nicht Wahlkampf auf den Rücken der Flüchtlinge“ zu machen.

Gelebte Vielfalt

„Rassismus ade! Vielfalt olé“, das offizielle Motto der Aktion, die auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (Agaby) in Kooperation mit dem Netzwerk Rassismus- und Diskriminierung Bayern, durchgeführt wird, war auch im Herzen der Tauberstadt auf einem Banner zu lesen. Bunte Luftballons wurden als Symbol für die gelebte Vielfalt in der Stadt an die Teilnehmer der Kundgebung verteilt. „Keine Chance für Rassismus“, forderte Roberto Mandosi. Darunter versteht er ein aktives Eintreten für Toleranz. Das heißt, dass man sich Menschen, die rassistische Meinungen vertreten, stellen und mit ihnen darüber diskutieren soll.

Gemeinsamer Appell gegen Rassimus: Stadt, Migrationsbeirat, Kirche.

Gemeinsamer Appell gegen Rassimus: Stadt, Migrationsbeirat, Kirche.

Als Vertreter der Stadt zeigte sich Oberbürgermeister Walter Hartl stolz über die Auszeichnung als „Ort der Vielfalt“ durch die Regierung. Die damit einhergehende Verpflichtung gilt es mit Leben zu füllen. Umso mehr, da Rassismus heute beinahe wieder salonfähig werde. Dem Migrationsbeirat dankte er für die Organisation der abendlichen Kundgebung.

Bereits vor einigen Jahren belegte eine Studie, dass Alltagsrassismus in Deutschland zugenommen habe. „Dagegen einzutreten ist heutzutage wichtiger denn je“, so das Stadtoberhaupt „aber nicht nur am Internationalen Tag gegen Rassismus.“ Alle seien dazu aufgerufen, „rassistischen Tendenzen die rote Karte zu zeigen“.

Im Zusammenhang mit dem Zuzug von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen entflammt in bestimmten Kreisen immer wieder aufs Neue die Forderung nach einer Leitkultur. Walter Hartl bezeichnete dies als eine „scheinheilige Diskussion“. Die Werte der Bundesrepublik seien bereits im Grundgesetz verankert. Wenn sich jeder, der hier lebt, die darin beschriebenen Ideale vergegenwärtige, brauche es keine zusätzliche Leitkultur, ist Walter Hartl überzeugt.

Dekan Hans-Gerhard Gross kam vor 32 Jahren selbst aus Rumänien nach Deutschland und betonte, dass Migranten durchaus ihren Beitrag in der Gesellschaft leisten. Der Kirchenmann erzählte von einem Film, der sich auf die alte biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel bezog. Bekanntermaßen ging das „monströse Projekt“ schief und hatte verheerende Folgen in Form der Sprachverwirrung. Die gemeinsame Grundlage der Kommunikation ging den Menschen dadurch verloren. Gruppen mit gleicher Sprache schlossen sich zusammen und eigenständige Gemeinschaften, die sich voneinander entfremden, entstanden.

Vernetzung ohne Verständigung

Damals wie auch heute folgt aus „menschlichem Größenwahn“ nicht Ruhm, so Hand-Gerhard Gross, sondern Streit und Entzweiung. Jeder sei gefangen in den eigenen Ängsten und Sorgen, so dass er für den Anderen blind ist. Diese Entwicklung ist umso verwunderlicher, da heutzutage der eigene Lebensstil stark von anderen Menschen abhängig ist. Was auf dem einen Kontinent geschieht, hat Folgen für einen anderen, erklärt der Dekan. Das große Manko: Diese Vernetzung der Bevölkerung geht ohne Verständigung einher.

Rassismus hat dann keinen Platz in einer Gesellschaft, macht Hans-Gerhard Gross Mut, wenn die Menschen die göttliche Sicht übernehmen und ihresgleichen nicht nach Sprache, Kultur, Hautfarbe, Geschlecht und dergleichen beurteilen, sondern nach ihrem Herzen. Philipp Schiffers, der sich hauptberuflich bei der Arbeiterwohlfahrt um erwachsene Zuwanderer kümmert, brachte die eindringliche Botschaft dieses Tages mit zwei selbstkomponierten Liedern musikalisch auf den Punkt. 1966 wurde der Internationale Tag gegen Rassismus von den Vereinten Nationen in Erinnerung an die blutige Niederschlagung einer friedlichen Demonstration gegen ein Apartheid-Gesetz in Sharpeville (Südafrika) ins Leben gerufen.

Der Arbeitskreis „Ort der Vielfalt“ zeichnete sich für den zweiten Teil der Veranstaltung verantwortlich. Im „Rappen“ referierte Lajos Fischer, Geschäftsführer des „Haus International“ in Kempten, darüber, wie ein gutes Miteinander gelingen kann. Einführend forderte er alle Bürger auf, für die Demokratie einzutreten, solange es sie noch gibt. In den vergangenen fünf Jahren sei sie in vielen Ländern aufgrund verschiedener Entwicklungen abhanden gekommen und die jeweiligen Zivilgesellschaften stehen nun vor gewaltigen Problemen, dies wieder zu ändern.

Im Hinblick auf den Grad der demokratischen Verfasstheit einer Gesellschaft gilt es, laut Lajos Fischer, zwischen der Innen- und Außenansicht zu unterscheiden. Am Beispiel seiner eigenen Heimat zeigte der gebürtige Ungar exemplarisch auf, dass der Prozess von einer offenen, toleranten, demokratischen Gemeinschaft hin zu einer autokratisch-intoleranten schleichend sein kann. Vieles geht dabei über die Sprache. Er warnt deshalb davor, Menschen in eine pauschalisierende, oftmals zudem auch negativ aufgeladene Kategorie zu stecken, vielmehr solle jeder als Individuum betrachtet werden.

Darüber hinaus stellte er den interessierten Zuhörern (aus Rothenburg und dem Umland) seine Einrichtung vor, die zu zwei Dritteln von der Stadt Kempten finanziert wird und mehrere Festangestellte hat. Das „Haus International“ ist ein Ort, an dem sowohl Kulturveranstaltungen als auch menschliche Begegnungen zum kulturellen Austausch und damit zur Förderung der Toleranz und des Miteinanders beitragen sollen.

Der neu gegründete „Runde Tisch Migration“ bietet Interessierten in Rothenburg eine Möglichkeit, sich für das gedeihliche Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in der Tauberstadt, zu engagieren. Ansprechpartnerin ist Irmgard Fischer vom Bereich Gemeinwesen und Soziales unter Telefon (09861) 404251. mes


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