Internationale Dialekt-Tagung im Wildbad macht Vielfalt und Bedeutung der Mundarten deutlich
ROTHENBURG – Fast drei Jahrzehnte hat es gedauert, ehe das Internationale Dialekt-Institut (IDI) noch einmal zur Tagung nach Rothenburg zurückkehrte. Wilhelm Staudacher hätte sich als einer der Mitbegründer darüber besonders gefreut. Ihm war bei der Tagung am Wochenende im Wildbad ein würdigender Platz eingeräumt worden. Die Zukunft des Dialekts, ein fachlicher Erfahrungsaustausch und kritische Betrachtungen, bei denen Mundart auch mit Kitsch und Kommerz zu tun hat, gehörten zur dreitägigen Themenfülle.

In einer der Gesprächsrunden bei den einzelnen fachlichen Themen mit Vortrag und Diskussion. Fotos: diba
Manch älterer Rothenburger wird sich noch an die 3. Dialekttage im Oktober 1978 erinnern, die damals fast eine Woche dauerten und von zahlreichen gut besuchten öffentlichen Veranstaltungen begleitet waren. 1974 hatte man im österreichischen Obergurgl die Grundlagen des in Wien ansässigen Instituts gelegt, das bis heute den Sitz in Österreich hat. Man blickt als Institut für regionale Sprachen und Kulturen (Forschung und Dokumentation) wieder zuversichtlich nach vorne. Kritische Phasen bis hin zu früheren Auflösungsüberlegungen lässt man zurück. Die hochkarätige Tagung des über 140 Mitglieder zählenden Vereins mit vierzig Teilnehmern und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum, machte deutlich, dass sich der Einsatz um den Erhalt des Dialekts und der Mundarten lohnt, denn es gibt z.B. in Bayern erfreuliche Fortschritte.
Namens der Stadt betonte Stadträtin Susanne Landgraf am Freitagnachmittag im Wildbad beim Grußwort: „Sie pflegen ein wertvolles Kulturgut und das verdient hohe Anerkennung!“ Präsident Markus Manfred Jung (aus der Lörracher Gegend) eröffnete in Mundart und moderierte die Tagung. Manfred Kern galt als örtlicher Autor besonderer Dank für seine Mitwirkung sowie der Familie Staudacher für die „Gejcherejd“-Buchspenden. Der Münchner Autor Josef Wittmann erinnerte an den Rothenburger Holstein-Verlag und Bernd Doerdelmanns Mundartliterarische Reihe, die hier herausgegeben wurde. Autor Helmut Haberkamm würdigte besonders Wilhelm Staudacher und Gottlob Haag. Dass auch die Lokalzeitung „Fränkischer Anzeiger“ mit ihrer Feuilleton-Redaktion 1978 bei der IDI-Tagung in Rothenburg eine unterstützende Rolle gespielt hatte wurde im Gespräch deutlich.
Fränkische Sprache und Identität hinterfragte im Eingangsreferat Klaus Gasseleder, gebürtiger Schweinfurter, kritisch, er verwies auf den politisch künstlich geschaffenen Raum, der nichts mit dem Sprachraum zu tun hat und machte deutlich wie missbräuchlich man Dialekt als „Identität“ nutzen kann.
Heimattümelei und Kommerz
Dass Mundart schnell in Heimattümelei oder in bedenklichen Kontext der politischen Rechten ebenso wie der Heimatbegriff geraten kann, zeigte sich an mehreren Aussagen der Teilnehmer. Auch touristisch und für Kommerzzwecke ist der Dialekt manchmal über Gebühr strapaziert. Was den Dialekt anbelangt, so gibt es laut Gasseleder „einen Flickenteppich”, der sich oft schon von Dorf zu Dorf zeige und manchmal wie im Jenischen (Schillingsfürst, Schopfloch) auch von Zuwanderern geprägt sei.
Beim Dialektgebrauch sieht er Stadt-Land-Unterschiede. Die Tagungsfrage ob der Dialekt „auf den Misthaufen gehört oder als Biotop erhalten werden soll”, müsse man von Region zu Region und Schicht zu Schicht verschieden beantworten. Es sei ein „Franken- hype“ entstanden, der die seltsamsten Blüten treibe, selbst chauvinistische Töne gäbe es in des Volkes Stimme. Je nachdem wie man Identität verstehe. könne der Dialekt dazugehören, aber er sei für ihn persönlich kein Mittel eine kollektive Identität zu schaffen. Als Teil einer Leitkultur halte er ihn sogar für schädlich.

Kaffeepause der Autoren im geschätzten Wildbad-Ambiente.
Im IDI wünscht sich Klaus Gasseleder mehr gelebte Internationalität, wobei man sogar auf nichtdeutsche Dialektregionen eingehen könne. Mit Zitaten aus seinem Dialektband gab der Referent der Dialektliteratur Platz und meinte, er wolle lieber von „Museum oder Dachboden“ sprechen und den „Kindern die Möglichkeit lassen, den Dialekt auf seine Verwertbarkeit zu prüfen“. Seine teils provokanten Aussagen erfuhren auch konkreten Widerspruch einzelner Autoren.
Dr. Peter Kaspar aus Kelheim befasste sich ausführlich mit der Standortbestimmung der Dialektologie und ging auf den heutigen Stellenwert ein, auch innerhalb der Germanistik. Sprache, Mundart und Heimat im Zeichen wirtschaftlichen und sprachlichen Wandels. Auch ging es um die Wirkungsanalyse von Dialekt z.B. an ausgewählten Texten Gerhard Polts, das Verhältnis von Literatur und Mundart aus wissenschaftlicher Sicht und die Mundart im Unterricht. In den Aussprachen zu den Fachreferaten brachten die Vertreter der einzelnen Sprachregionen ihre Ansichten und Erfahrungen ein.
Mit dem Thema „Sind die Medien an allem schuld?“ eröffnete die Runde am Samstagfrüh. Die berichteten Erfahrungen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz waren sehr unterschiedlich, generell aber sieht es eher schlecht aus in den Redaktionen, wenn es darum geht der Mundart ihren Platz einzuräumen. Auch beim Rundfunk haben sich die Zeiten gewandelt und man sieht häufig weniger Kulturverständnis für den Dialekt. Josef Wittmann sprach von der Bedrohung der freien Presse und einem „Wettbewerb um die möglichst niedrigsten Ansprüche“. Im Rundfunk beherrschten oft „Dampfplauderer“ die Szene.
Doch auch von positiven Beispielen wussten einzelne von Zeitungen und Funk zu berichten. Der Aischgründer Autor Helmut Haberkamm, Initiator des Edzerdla-Mundartfestivals Burgbernheim, meinte, heutzutage müsse man alles in ein „Event“ verpacken, damit es ankomme. Nicht nur Jammern sei angesagt, sondern alle medialen Möglichkeiten gelte es zu nutzen inklusive „soziale“ Netzwerke.
Um den Dialekt als Schulsprache und seine neue Wertschätzung ging es im Fachvortrag von Frau Dr. Tabea Kretschmann (Universität Erlangen-Nürnberg), die praktische Beispiele interessanter Dialekt-Schülerliteratur brachte. In Bayern habe das Kultusministerium eine große Wende vollzogen, denn bis in die neunziger Jahre sei der Dialekt – vor allem an Gymnasien – verpönt gewesen, jetzt erfahre er neue Wertschätzung und werde in den Unterricht integriert. Dazu gibt es neues Lehrmaterial mit Vorschlägen für den Unterricht nach Mundart-Regionen. Ein Stichwort war auch das „Wertebündnis Bayern“.
Am Samstagabend hatte man zur Mundartlesung aus allen vertretenen Regionen in den Schäfersaal ins Spitalviertel eingeladen, die ein großes Publikum verdient hätte. Auch zwei österreichische Mundartpreisträgerinnen wurden mit der neuen IDI-Vizepräsidentin Gerlinde Allmayer (pinzgauerisch) und Angelika Polak-Pollhammer (tirolerisch) vorgestellt. Der gebürtige Rothenburger Manfred Kern las aus seinen Gedichtbänden. Klaus Gasseleder hatte sogar Eindrücke eines Rothenburg-Besuchs lyrisch verarbeitet. Eindrucksvoll trugen sechs Autorinnen und Autoren ihre eigenwillige Bearbeitung von neun Psalmen vor. Die IDI-Tagung machte deutlich, dass der Dialekt und die mundartlichen Varianten wertvoller Bestandteil von Literatur und Lyrik sind, die zeitkritisch und nicht heimattümelnd ist.
Über die Würdigung von Wilhelm Staudacher und Gottlob Haag berichten wir noch näher. Sonntagmittag ging die Dialekt-Tagung zu Ende. Dass man sich im besonderen Wildbad-Ambiente als Tagungsstätte sehr wohl fühlte, war unüberhörbar. diba