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Heiter bis deftiges Spiel

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Frenetischer Beifall für Barockoper „Die Erben der Narrentreppe“

ROTHENBURG – Welchen Zeitvertreib gab es an den Fürstenhö­­fen und für das einfache Volk im 16. Jahrhundert? Fahrende Komödianten lieferten Possenspiele um Liebe und Eifersucht, Narren tarnten versteckte Wahrheiten unter ihrer Narrenkappe, Gaukler und Akrobaten zeigten ihr Können. Commedia dell’arte-Ensembles nahmen Einfluss auf das Bühnengeschehen in ganz Europa, vor allem in Frankreich und Spanien.

In Reichsstadthalle: Ensemble bot komödiantisch-venezianischen Zeitvertreib. Foto: Schwandt

In Reichsstadthalle: Ensemble bot komödiantisch-venezianischen Zeitvertreib. Foto: Schwandt

Auf der Burg Trausnitz oberhalb von Landshut ließ Prinz Wilhelm, der spätere Herzog Wilhelm V. von Bayern, die berühmte Narrentreppe mit Szenen aus der italienischen Commedia dell’arte in Lebensgröße ausmalen. Die Landshuter Narrentreppe ist das früheste und einzige monumentale Bildzeugnis, das Alessandro Padovano um 1575 bis 1579 ausführte.

Es ist tatsächlich ein Ensemble aus Niederbayern, das in Rothenburg eine Stegreifkomödie auf die Bühne brachte – in der altehrwürdigen Reichsstadthalle. Drei von 33 Veranstaltungen des „Fränkischen Sommer 2017“ fanden in Rothenburg ihren Platz – Bürgermeister Dieter Kölle dankte den Veranstaltern und lud dazu ein, 2019 die Tauberstadt mit ihren vielfältigen Spielstätten in das Programm einzubeziehen. Die fünf Komödianten zeigten italienisches Improvisationstheater vom Feinsten, heiter und zuweilen deftig setzten sie sechs Szenen der Landshuter Narrentreppe auf der Bühne um.

Repräsentative Heirat

Zeit und Ort der Handlung ist natürlich Venedig im 16. Jahrhundert. Der alte Geizhals Pantalone de’ Bisognosi ist ein reicher venezianischer Kaufmann. Er spürt, dass sein Leben endlich ist, dass der „Knochenmann“ über kurz oder lang kommen wird und dass vor allem seine Manneskraft nachlässt. Gesellschaftliches Ansehen ist ihm wichtig, doch erkaufen kann er sich das nicht.

Ein Aufstieg ist nur möglich, wenn sein Mündel Columbina durch eine repräsentative Heirat in andere Kreise aufsteigt. Pantalone verhandelt mit dem Aufschneider Capitano Don Diego de Mendoza, bietet ihm die Hand Columbinas, wenn er dafür in den Ritterorden aufgenommen wird.

Columbina droht er damit, dass sie ihr Leben in einem Kloster zubringen müsse, sollte sie den Capitano nicht heiraten. Doch diese liebt – wie soll es auch anders sein – einen anderen. Dem Tanzlehrer Orlandino detto il Ballarino gehört ihr Herz und sie vertraut sich in ihrer Not dem schelmischen, langnasigen Diener Zanni an. Dieser weiß auch Rat, der Preis dafür ist der ungehinderte 24-Stunden-Zugang zur Speisekammer.

Pantalone möchte sich noch einmal so richtig vergnügen, bietet der venezianischen Kurtisane Donna Lucia detta l’Appassionata reichen Lohn für ihre Dienste. Zanni weiß davon und überrascht gemeinsam mit Columbina und Orlando den ach so edlen Pantalone im Freudenhaus. Die Liebenden versprechen, diese Peinlichkeit für sich zu behalten, wenn sie heiraten dürfen und Pantalone willigt ein, auch zur großen Freude Donna Lucias, ist sie doch die Mutter Orlandos.

Spontane Improvisation

In Grundzügen sind die Handlung und die Gestaltung der sechs Szenen nebst Prolog und Finale durch das Ensemble festgelegt, doch es bleibt genügend Raum für spontane Improvisation bei Musik und Tanz, garniert mit einem reichen Repertoire an Einlagen wie Akrobatik, Pantomime und Wortwitzen.

Sopranistin Felicia Berg (Columbina) präsentiert wundervolle Tanz- und Gesangsstücke, Susanne Kaiser (Donna Lucia) ist Konzertharfinistin und bringt die historische Harfe vollendet zum Klingen. Tenor Andreas Kaiser (Zanni) spielt verschiedene historische Blas- und Perkussions– instrumente und untermalt damit gekonnt die einzelnen Szenen, Bernhard Girardi (Orlando) ist Tänzer und Tanzlehrer, leitet Ensembles für alte Musik, führt eine Werkstatt für Blockflöten und spielt diese meisterlich.

Christoph Eglhuber (Pantalone) hat sich während seiner Musikstudien an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität auf das Spielen historischer Zupfinstrumente spezialisiert und an zahlreichen Musik- und Filmproduktionen mitgewirkt. Am Ende der Barockoper „Die Erben der Narrentreppe“ räumt er als Pantalone „das Feld und geht zurück zu seinem Geld“.

Eigentlich sollte die Commedia dell’arte auf der Stöberleinsbühne gespielt werden, doch die Bühne der Reichsstadthalle bot eine ebenfalls authentischen Kulisse für das barocke Spiel und die zauberhafte Musik – die Zuschauer ließen sich begeistern und belohnten den komödiantisch-venezianischen Zeitvertreib mit frenetischem Beifall. sw


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