Martha und Jessica verlegten ihre Leidenschaft für Mode vom Kinderzimmer ins Internet
ROTHENBURG – Jahrzehntelang gaben sie den Ton an in der Modewelt: Designer und Chefredakteurinnen großer Modezeitschriften. Doch die Zeit der starren Hierarchien ist passé. Die eigene Kreativität und Individualität sind heute die Maßstäbe. Sie werden von den verschiedensten Modeliebhabern gesetzt, die mittels ihres Blogs, also einer Art Tagebuch im Internet, zeigen, wie vielseitig Mode sein kann. Darunter auch zwei Schwestern aus Schrozberg.
Es ist eine Szene, wie man sie vermeintlich mehrmals täglich in der Touristenstadt Rothenburg beobachten kann: Eine junge Frau stellt sich vor einem der historischen Gebäude in Pose, um sich auf einem Foto verewigen zu lassen. Aber gleich zwei Dinge sind anders als sonst. Zum einen sind nicht die Gebäude, sondern die Frau die eigentliche Sehenswürdigkeit – vor allem auch für die vorbeigehenden Passanten. Und zum anderen verschwindet das Ergebnis nicht in einem privaten Fotoalbum, sondern wird der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Denn Martha und Jessica, so die Namen der Fotografin und des Models, sind leidenschaftliche Modebloggerinnen.

Eingespieltes Team: Gemeinsam und mit ganzem Körpereinsatz setzen sie das Outfit in Szene.
In ihrem Internet-Tagebuch „Vintage Life en Vogue“ zeigen die beiden Modeliebhaberinnen aus Schrozberg, wie sie Mode leben und mit ihr spielen. Es hat sich bei ihnen eingebürgert, dass dabei die 22-jährige Jessica Nowak den Part des Mannequins übernimmt, während ihre sieben Jahre ältere Schwester Martha Soldaczuk hinter der Kamera steht. Schon in ihrer Kindheit übten sie in dieser Kons-tellation eher spielerisch, mit welchen Posen man die Kleidung ins beste Licht rückt.
Nachdem sie sich später zunächst bei anderen Bloggern Inspiration zu den neuesten Modetrends holten, wurde ihnen schnell klar: „Das können wir auch!“ Und so gründeten sie 2011 ihren eigenen Blog. Anfangs war es eigentlich nur so zum Spaß, erinnert sich Jessica. Doch das Ganze lief ziemlich gut an. Etwa drei Kleiderkombinationen stellten sie pro Woche auf ihren Blog. Heutzutage müssen sie sich oft spontan für ihre Fotoaufnahmen treffen, da beide durch Arbeit und Studium weniger Zeit dafür haben. Ihren Lebensmittelpunkt verlegten sie deshalb mittlerweile nach Würzburg.
„Einer unserer Ansprüche ist es, in jedem Outfit auch etwas Altes mit dabei zu haben“, erklärt Martha. Schließlich trägt der Blog nicht umsonst das Wort „Vintage“ (englisch für „klassisch“, „aus einer bestimmten Zeit“) im Namen. Hierfür stöbern sie auch mal im Kleiderschrank ihrer Mutter, wo sich schon der eine oder andere zeitlose textile Schatz gefunden hat. Oder sie machen die Flohmärkte der Gegend unsicher. Bei einem dieser Streifzüge ist es bereits vorgekommen, dass sie gleich zehn Handtaschen mit nach Hause brachten. Eine weitere begehrte Beute ist neben Kleidung und Accessoires auch Geschirr. Ihr Lieblingsporzellan etwa – klassisch weiß mit Goldrand – stammt vom Tiefgaragen-Flohmarkt in Rothenburg.
Den beiden geht es nicht darum in ihrem Blog die abenteuerlichsten Kleiderkompositionen zu präsentieren: „Was ich vor der Kamera trage, ziehe ich auch privat an“, betont Jessica. Wobei das für den einen oder anderen trotzdem nicht immer unbedingt alltagstauglich ist. „Sie traut sich wirklich viel“, sagt Martha über ihre „sehr experimentierfreudige“ jüngere Schwester. So gibt es für sie auch kein Kleidungsstück, bei dem sie sich kategorisch weigern würde, es anzuziehen. „Sag niemals nie“, lautet ihre Devise. Erst kürzlich erstand sie eine nun wieder modern gewordene Schlaghose, von der sie nach ihrer Jugendzeit dachte, dass ihr so etwas nicht mehr in den Kleiderschrank kommt. Dieselbe liberale Haltung legen die Modebegeisterten auch gegenüber ihren Mitmenschen an den Tag: „Jeder soll sich so anziehen, wie er es mag und worin er sich wohlfühlt.“
Ideen für die zu präsentierenden Outfits und die passende Kulisse haben sie mehr als genug. Ein paar Lokalitäten, wo sie wissen, dass die Fotos immer toll werden, steuern sie regelmäßig an – wenn die Zeit mal wieder recht knapp ist. Ansonsten finden sich auf ihrem Blog malerische Hintergrundszenerien, angefangen beim romantischen Schlossgarten über urbane Straßenzeilen, ein sommerliches Getreidefeld bis hin zum mittelalterlichen Rothenburg, nachzulesen unter dem Titel „Poncho Style“ auf ihrem Blog.

Die Modebloggerinnen Jessica und Martha lieben die Tauberstadt als Kulisse für ihre Fotos. Fotos (2): Scheuenstuhl
Aber auch das beschauliche Schrozberg rückt ab und an ins Zentrum ihrer virtuellen Modewelt. Bei diesen Gelegenheiten bekommt Jessica dann Konkurrenz aus der Familie: Als besonders beliebter Nebendarsteller tritt nämlich Hund Willi mit vor die Kamera. „Er stellt sich wirklich gut an und ihm macht das Ganze nichts aus“, lobt Fotografin Martha die Lässigkeit des Vierbeiners. Bei ihrer Schwester besteht hingegen öfters mal Diskussionsbedarf. „Jessica ist sehr perfektionistisch“, erklärt die 29-Jährige. Sie wünscht sich, dass immer alles so aussieht, wie sie es sich vorstellt. Während des Fotografierens prüfen Martha und Jessica deshalb ständig, ob die Posen auch gut rüberkommen und welche Detailaufnahmen man noch machen könnte.
Und diese Sorgfalt zahlt sich aus: Ihren Blog besuchten bis heute 225828 Personen. Um auf sich aufmerksam zu machen und bei der Flut an Beiträgen im Weltnetz im Gedächtnis ihrer Abonennten zu bleiben, nutzen sie auch zusätzliche Kommunikationskanäle wie etwa „Instagram“. Bei diesem kostenlosen Online-Dienst zum Teilen von Fotos und Videos haben die beiden zusammen gut 5000 Nutzer, die sie ohne großen Aufwand auf dem Laufenden halten können. Denn auf dem eigentlichen Blog wird die gezeigte Kleiderkombination noch mit einem selbst verfassten Text auf deutsch und englisch näher beschrieben. Dort geht ein Beitrag auch erst online, wenn beide ihn abgenickt haben. Neben Kleidern verfassen sie auch eigene Beiträge zu Accessoires wie beispielsweise ihrem liebsten Schmuckwerk: Uhren. Jede Woche tauschen die beiden ihre Zeitmesser untereinander aus.
Und dort hört die Schwesterliebe noch lange nicht auf. Denn es gibt eine Besonderheit, um die sie viele weibliche Geschwisterpaare wohl sehr beneiden werden: Martha und Jessica haben dieselbe Konfektions- und Schuhgröße. Das heißt, die begehrteste Boutique für sie ist der Kleiderschrank der anderen. Wobei die Hosen der großgewachsenen Jessica manchmal etwas zu lang für ihre Schwester sind. Nichtsdestotrotz wird das Budget für Klamotten dadurch erfreulicherweise geschont, weil nichts doppelt gekauft wird, meint Martha. Beim Stöbern in den Läden stellen sie sich auch immer die Frage, ob das Kleidungsstück auch der Schwester gefallen würde. Man könnte meinen, die Kleiderschränke der beiden quellen über, zumal sie „gerne sammeln und nur ungern etwas wegwerfen“, wie sie selbst zugeben. Aber sie sind alles andere als kaufsüchtige Modepüppchen. Im Gegenteil: Sie lassen schätzungsweise nur rund 100 Euro pro Monat für Kleidung. „Ich gebe wahrscheinlich monatlich mehr Geld aus, um Essen zu gehen“, schmunzelt Martha und fügt hinzu: „Wenn wir zu viele schöne Sachen sehen, können wir uns manchmal nicht entscheiden und kaufen am Ende auch mal überhaupt nichts.“
Dies ist genau das, was einen guten Modeblogger ausmacht: Nicht die Menge an Kleidung, die einem zur Verfügung steht ist das Geheimnis für den Erfolg, sondern wie man aus einem bestimmten Kontingent an Klamotten durch Kombinationen immer neue und aufregende Outfits kreieren kann. Und das muss alles andere als teuer sein. „Wir sind unglaubliche Schnäppchenjäger“, erklärt Martha. Hier zahlt sich Jessicas textiler Mut besonders aus, denn gerade die etwas ausgefalleneren Stücke bleiben meist in den Läden liegen und warten dann darauf von ihr im Schlussverkauf entdeckt zu werden. Außerdem legen die Schwestern keinen großen Wert auf teure Marken. Es kommt durchaus vor, dass ihre Kombinationen auch Textilien vom Discounter enthalten. Weniger der Name als vielmehr die Optik zählt für die beiden. Auch wenn Markenfirmen ihnen ihre Produkte anbieten, damit sie sie auf ihrem Blog vorstellen. Sie gehen nicht jede Kooperation ein, sondern suchen sich das aus, wovon sie selbst überzeugt sind.
Und insgeheim hat jede von ihnen auch noch ihren eigenen kleinen Modetraum: Martha schwärmt neben der Mode der 60er Jahre und allem, was zum „Pariser Chic“ zählt, für den Trenchcoat Klassiker aus dem Hause Burberry. Jessicas Favorit sind zeitlose schwarze Pumps des französischen Designers Christian Louboutin, auch wenn daran zu Jane Austens Zeiten – Jessicas liebster Epoche – noch nicht zu denken war. Aber das ist ja das Gute an der Mode: Sie wandelt sich und lässt einem jegliche Freiräume, sich mit ihrer Hilfe nach Lust und Laune auszuleben. Martha und Jessica sind der Beweis, dass das, was man mit Freude und Leidenschaft macht, auch erfolgreich ist: 700 Nutzer haben ihren Blog abonniert, im Monat rufen ihn etwa 5000 bis 6000 Leute auf. Auf dem sozialen Netzwerk „Pinterest“ wurden sie einmal zum erfolgreichsten Modeblog in Deutschland gewählt. mes